Die Werke von Sali Muller (*1981 Luxemburg) bewegen sich im dreidimensionalen Raum zwischen dem flächigen Objekt, dem räumlichen Licht und dem Betrachter/der Betrachterin. Sowohl das Licht als auch der Betrachter/die Betrachterin verändern durch ihre Einwirkung das Objekt signifikant und bilden so eine Einheit, die untrennbar miteinander verwoben ist. Die Arbeiten von Muller gehen über die Wahrnehmung des bloßen Auges hinaus und ergänzen diese durch den Moment der Bewegung.
Erst durch den Einfluss des Lichtes zeigt sich die Intention der Künstlerin, die hinter jedem der Werke steht – Kanten, Ebenen und Rundungen werden erkennbar und reflektieren die Lichtstrahlen im Raum; Farben werden erst durch das Licht sichtbar und verändern sich mit dessen Bewegung. Es entstehen Kunstwerke, welche nicht durch ihre physische Form begrenzt sind, sondern den Raum miteinbeziehen und diesen durch den immateriellen Bewegungszustandes des Lichtes verändern und in neue Gestalt tauchen.

Während das Licht das Kunstwerk optisch im Raum erweitert und seine zahllosen Facetten zum Vorschein bringt, partizipiert der Betrachter/die Betrachterin durch seine/ihre Bewegung mit eben diesem und ruft so eine visuelle, rein subjektive Veränderung hervor. Mit jeder Bewegung; mit jeder Veränderung des Abstandes oder Höhe der Betrachtung, verändert das Objekt sich in Form, Farbe und Intensität.
Das gewählte Material schafft zudem einen Moment der Wiedererkennung, da der Betrachter/die Betrachterin sich in dem Objekt spiegeln kann und sich durch die Struktur und Farbigkeit der Oberfläche in vielfältiger Erscheinungsform wiederfindet.
Hierbei vergegenwärtigt sich die Vielzahl an Facetten des Spiegelbildes des Betrachters/der Betrachterin, welche unweigerlich hinterfragt werden.
Das Selbst zu fixieren scheint schwer oder gar unmöglich, da mit jeder Bewegung; mit jedem Lichtstrahl ein anderes Gegenüber in der Spiegelung zum Vorschein kommt. Mal ist es klar zu erkennen, mal zeigt es sich verzerrt oder gar unbekannt.

Es scheint, als würden sich die Undefinierbarkeit des Objektraumes und der multidimensionale Effekt der Werke von Muller auf den Betrachter/die Betrachterin und dessen/deren Selbst übertragen und so eine gegenseitige Unabdingbarkeit konzipieren.

Sai Muller “Abziehbild”

Sali Muller “Die Erscheinung”

Sali Muller “Upside down”

Hier verdeutlicht sich der Bezug des Künstlers zu der in den 1960er Jahren entstandenen Minimal Art und der Op-Art, die den Moment der Interaktion von Kunstwerk und Betrachter*in auf optische Weise perfektioniert hat. Flächige Farbfelder im Zusammenspiel mit geometrischen Formen dienten der gezielten Irritation und führten zur optischen Täuschung. Das Auge war gezwungen eine dreidimensionale Wirkung auf der zweidimensionalen Leinwand differenzieren zu können.

Bekannte Vertreter wie Richard Anuszkiewicz (1930-2020, USA) perfektionierten diese Illusion von Perspektive sowie suggerierten Bewegungsabläufen und forderten eine losgelöste, freie Form der Kunst gerichtet an das „offene Auge“. Durch den Verzicht auf Besonderheiten in Hinsicht auf Stilistik – wie beispielsweise der eigenen Bildsprache – wurde gezielt der Blick auf die Wirkung des Kunstwerkes gelenkt und somit zur zentralen Säule des Werkes selbst.

Craig Kauffman (1932-2010, USA) erweitertete dieses Prinzip der Wirkung in dem er die zweidimensionale Ebene verließ und die Kunstwerke nicht nur optisch, sondern physisch in ein dreidimensionales Format brachte. Die in der Op-Art konzipierte optische Täuschungen wurde in den realen Raum überführt, der wiederum erst durch die Bewegung des Betrachters/der Betrachterin als real wahrgenommen wurde. War der Betrachter/die Betrachterin bei zweidimensionalen Werken aufgrund der Täuschung irritiert, dass keine reale Dreidimensionalität vorlag; war er/sie nun überrascht, dass diese tatsächlich vorherrschte – Bewegung wurde zum zentralen Motiv.

Die Bewegung als fundamentales Element findet sich in erweiterter Form in den Arbeiten von Anish Kapoor (*1954, Indien) – insbesondere bei der monumentalen Stahlskulptur „Cloud Gate“ (ugs. „The Bean“) – wieder. „Cloud Gate“ positioniert sich frei im öffentlichen Raum, sodass jeder Fußgänger/jede Fußgängerin unweigerlich mit dem Kunstwerk interagiert. Gezielte Partizipation und beiläufigen Begegnung werden hier gleichermaßen angestrebt und bilden ihre eigene, sich permanent wandelnde Dynamik. Die Oberfläche, die Spiegelungen erzeugt, wird hier genutzt, um das Selbst und dessen Wahrnehmungsgewohnheiten zu hinterfragen.

Sali Muller erweitert die Stilrichtungen des Light and Space und der Conceptual Art, indem sie an diese Ideen des 21. Jahrhunderts anknüpft; die drei zentralen Faktoren – Licht / Objekt / Bewegung – in den Vordergrund stellt und die Subjektivität von Wahrnehmung kommentiert. 

Richard Anuszkiewicz “Tringular Prism”, acrylic on masonite, 68x68cm, 1962.

Richard Anuszkiewicz “Translumina Rossi”, acrylic on wood, 53,8x53,8cm, 1968.

Craig Kauffman “Untitled”, acrylic lacquer on plastic, 185,4x127x22,9cm, 1969.

Anish Kapoor “Tall Tree”, stainless steel/carbon steel, 1297x442x440cm, 2009.