Kunstmarkt Report Vol.II
I. Frauen im Fokus des Kunstmarktes
Die Sammlungen von Privatpersonen waren historisch gesehen in Bezug auf das Geschlecht der Künstler*Innen weniger divers und wurden in allen Regionen und demographischen Gruppen tendenziell von den Werken männlicher Künstler dominiert (durchschnittlich 60%). Wie bereits in früheren Berichten der Art Basel und UBS Bank festgestellt, bedeutet dies nicht immer, dass die Sammler*Innen bei der Auswahl ihrer Werke voreingenommen waren; sie berichten vielmehr, dass sie sich bei der Auswahl der zu erwerbenden Werke weder von der Herkunft noch vom Geschlecht der ausgestellten Künstler*Innen beeinflussen ließen. Vielmehr liegen die Gründe für eine vorwiegend männliche Sammlung vor allem an der mangelnden Präsenz weiblicher Künstlerinnen in Galerien und Auktionen.
Betrachtet man die Ankäufe von Sammler*Innen der letzten fünf Jahre wird jedoch deutlich, dass sich dieses Ungleichgewicht langsam annähert. So stieg der Prozentsatz von weiblicher Kunst von 33% im Jahr 2018 auf 42% im Jahr 2022 - ein deutlicher Trend, der vor allem den großen und etablierten Märkten der USA, Großbritannien oder Frankreich zugeschrieben werden kann.
II. "The Story of Art Without Men" - eine feminine Kunstgeschichte
Der Trend zu diverseren Sammlungen liegt nicht zuletzt an der zur Zeit geführten femininen Kunstdebatte, die Frauen der Kunstgeschichte eine Stimme gibt und eine neue Betrachtung der Historie bietet, von der zeitgenössische Künstlerinnen profitieren. Die Historiker der westlichen Kunstgeschichte widmeten ihre Werke vorwiegend der männlichen Kunst und deren Erscheinungsformen. Selten wurden Künstlerinnen ihrer Zeit besprochen oder gewürdigt - sie wurden als Musen betitelt oder als Inspirationsquelle; selten wurde ihr künstlerisches Vermögen geehrt. Eine Studie aus dem Jahr 2019 ermittelte, dass in den Sammlungen von 18 bedeutenden US-Kunstmuseen 87% der Werke von Männern stammen und 85% von weißen Künstler*Innen; in der Londoner National Gallery sind Künstlerinnen mit lediglich 1% vertreten.
Dieses Ungleichgewicht brachte die englische Kunsthistorikerin Katy Hessel dazu, ein Werk zur Geschichte der Kunst zu verfassen, welches konkret den weiblichen Blick einnimmt. Angelehnt an das Hauptwerk "The Story Of Art" von Ernst Gombich - welches in der Kunstgeschichte als Standardwerk begriffen wird, jedoch nicht eine Künstlerin enthält - heißt ihr Buch "The Story Of Art Without Men" und fand branchenübergreifen großen Beifall.
"Es ist nicht so, dass ich glaube, Werke von Frauen seien von Natur aus anders als die von Männern - es geht eher darum, dass die Gesellschaft und ihre Meinungsmacher zu allen Zeiten einer Gruppe Priorität eingeräumt haben. Und ich fand, dass man das so nicht stehen lassen darf." (Katy Hessel)
III. Zeitgenössische Künstlerinnen beliebt wie nie
Soziale Medien machen es heute einfach, sich als Künstler*In selbst zu inszenieren, Werke zu präsentieren und Bekanntheit außerhalb der großen Institutionen oder Galerien zu erlangen. Ebenso spielen Herkunft und Geschlecht keinerlei Rolle, sodass Frauen hier einen großen Mehrwert finden, den es so zuvor nicht gab. Sie müssen sich nicht gegenüber Kurator*Innen, Museumsdirektor*Innen oder Galerist*Innen beweisen und haben die Möglichkeit, sich eine eigene Zuschauerschaft zu bilden. Es wundert also kaum, dass es große Künstler*Innen unserer Zeit gibt, die sich das Fundament ihrer Bekanntheit u.a. durch die intensive Nutzung von sozialen Medien geschaffen haben, welches wiederum dazu führte, dass etablierte Galerien und Museen auf sie aufmerksam wurden. Bekannte Beispiele hierfür sind u.a. Vivian Greven (29k Follower), Flora Yukhnovich (67k Follower) oder Sali Muller (21k Follower) - sie alle vereinen eine große Followerschaft, sie sind in renommierten Galerien vertreten und bespielen Ausstellungen in bekannten Museen, was wieder dazu führt, dass Werke dieser fantastischen Künstlerinnen auf den großen Kunstmessen ausgestellt werden und ihren Weg in private Sammlungen finden. Hinzu kommt ein sich wandelnder Kunstmarkt, der sich durch Neubesetzungen neu formiert: zum ersten Mal überhaupt stehen Frauen an der Spitze des Louvres, der Tate oder der National Gallery of Art in Washington.