Die Werke des im Umland von Berlin lebenden Künstlers Mike MacKeldey wurden bisher in zahlreichen Einzelausstellungen – vornehmlich in Frankreich und Deutschland – gezeigt. Seine Werke erinnern uns an Portraits alter Meister, ohne deren Schleier der Verdunklung zu übernehmen. Er nutzt eine Bildsprache, mit der er es schafft, eine moderne, anti-idealistische Ästhetik zu entwickeln, welche zur Erweiterung dieses Genrebegriffs führt und ihn in ein zeitgenössisches Gewand transformiert.
Die Werke von Mike MacKeldey befreien sich von ikonographischen Bezügen; sie wollen nicht intellektuell erschlossen werden oder setzen ein umfangreiches, kunsthistorisches Wissen voraus. Sie sind offen, frei und vollkommen losgelöst. Sie laden uns förmlich ein, sich mit ihnen zu befassen, sie zu erfahren und auf Erkundungstour durch die Wunderkammer, die sie öffnen, zu gehen. Die Debatte über die Biografisierung von Werken ist im kunstwissenschaftlichen Diskurs allgegenwärtig. Erschließen sich manche Kunstwerke vollkommen ohne biografischen Hintergrund; öffnen sich andere erst, nachdem man sich mit dem Künstler/der Künstlerin und seinem/ihrem Leben beschäftigt.
Mike MacKeldeys Werke gehen über die Biografisierung hinaus, da sie nicht nur Verweise auf Lebensabschnitte, Erfahrungen oder Traumata bieten; sie sind vielmehr eine Offenlegung der tiefen Empfindungen und der sensiblen Seele des Künstlers. Seine Werke enthalten Chiffren, die unverständlich scheinen und zusammenhangslos. Wir nehmen sie wahr, können jedoch den wirklichen Hintergrund und deren Bedeutung nur vermuten oder bleiben gar vollkommen unwissend. Fragt man den Künstler jedoch, was hinter dem rosafarbenen Herzen (Vgl. "Baron Suppe", Öl auf Leinwand/Holz, 2022) steckt, so bekommt man eine Antwort, die sinnbildhaft für alle seine kleinen Nachrichten ist, die er in seinen Werken versteckt. So waren die Herzen schon immer Bestandteil seiner Kunst, auch wenn er diese nur einem sehr kleinen Kreis zeigte. Die Herzen befanden sich stets auf der Rückseite der Leinwand – unsichtbar für den Betrachter/die Betrachterin – und waren nur für diejenigen bestimmt, die das Werk aufhängten. Eine kleine Aufmerksamkeit, die vielleicht auch mal unentdeckt blieb, jedoch wenn man sie fand, ein Lächeln in´s Gesicht zauberte.
Diese Nahbarkeit, die in seinen frühen Werken für den Betrachter unsichtbar blieb, findet nun ihren Platz auf der Vorderseite der Leinwand. Wurden seinen früheren Werken oftmals eine Aufforderung zur Irritation zugeschrieben, scheint es nun vielmehr so, als wolle er uns einladen und die Hand reichen. Seine Werke fesseln, ohne den Anspruch zu erheben, ehrfürchtig zu sein. Die Ehrfurcht weicht einer Zugänglichkeit, die begleitet wird von Lebenslust und Heiterkeit. Seine Werke wirken ohne biografischen Bezug beeindruckend und faszinierend; jedoch begreift man durch kleine autobiografische Anekdoten, warum. An dieser Stelle manifestiert sich ein Geniebegriff, der geprägt ist von der subjektiven Faszination, die wiederum nicht mit Worten erklärt werden kann. Die auratische Schönheit des Werkes im Zusammenspiel mit einer lebensnahen Erklärung, bilden das Fundament dieses Geniebegriffes.
Bei flüchtiger Betrachtung erinnern uns die Gemälde von Mike MacKeldey an Portraits des Barock. Diese waren vornehmlich Auftragsarbeiten, befanden sich in opulenten Ahnengalerien und dienten primär der Demonstration von Machtverhältnissen. Hofmaler wie Peter Paul Rubens (1577-1640) waren es, die Portraits schufen, welche uns bis heute in ihren Bann ziehen und in eine andere Zeit eintauchen lassen. Klassischerweise fokussiert der dunkle Bildgrund die dargestellte Figur und setzt sie ins Zentrum der Betrachtung (Vgl. Peter Paul Rubens „Portrait einer Dame“, Öl auf Holz, 1625/30). Es gibt keinerlei Ablenkung oder Irritation im Bild – der Maler schafft es in perfekt naturalistischer Weise eine reale Person darzustellen. Doch wirkt diese Perfektion fast nebensächlich, ist man doch unweigerlich von ihrem einnehmenden Blick gefesselt. Ein Blick, den wir in den Werken von Mike MacKeldey ebenfalls finden und welcher seine Entsprechung in der Kunstgeschichte bis heute findet. Christian Jaccard´s (*1939) Werk „Anonyme Calciné” (1980) verzichtet ebenfalls auf einen räumlichen Hintergrund, zentriert das Portrait einer unbekannten Person und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf ihren Blick. Auch wenn wir die Person kaum erkennen können, ist es ihr Blick, an dem wir verharren. Es zeigt sich, dass das Motiv des Blickes fortwährend ist und als Instrument zur Erzeugung von Nähe und Distanz genutzt wird. Er dient der Kontaktaufnahme zwischen dem Betrachter/der Betrachterin und dem Werk, wird jedoch begrenzt; sei es durch die Demonstration eines höheren gesellschaftlichen Standes oder die Kratzer im Bild, die uns an Gitterstäbe eines Gefängnisfenster erinnern und somit eine aktive Kontaktaufnahme unmöglich machen. Jaccard greift hier eine ikonografische Erzählstruktur auf, verfremdet diese durch eine moderne Form der Bildsprache und verknüpft Bekanntes mit Neuem. Die Kratzer, die uns von dem Portrait distanzieren, werden durch gezielte Verbrennungen hervorgerufen und verweisen auf eine künstlerische Form, die sich zwischen Naturalismus und expressionistischer Abstraktion bewegt.


Eine Form der Ausdrucksmöglichkeit, die wir bei Mike MacKeldey ebenfalls finden. Auch er verzichtet auf die Darstellung eines gegenständlichen Hintergrundes und bietet uns den Raum zur Fantasie. Seine Portraits sind nicht leinwandfüllend; sie bilden das Zentrum des Gemäldes, lassen jedoch Raum für andere Bildmotive und deformieren so das Konstrukt von Macht, das dem barocken Portrait innewohnt. Er lässt die Leinwand durchscheinen und schafft eine „Bild-in-Bild“ Wirkung, die durch bunte Kritzeleien und abstrakte Figuren, welche sich durch das Werk zu hangeln scheinen, verstärkt wird. Kritzeleien, die uns unweigerlich an die Werke des US-Malers Cy Twombly (1928-1980) erinnern. Dieser verzichtete auf jegliche Form der konkreten Darstellung; entsagte der Öl- oder Acrylfarbe und fokussierte sich stattdessen auf den Stift und die pure Leinwand. Scheinen seine Werke auf Anhieb wirr und zusammenhangslos, entsteht bei längerer Betrachtung eine Dynamik; ein Rhythmus oder gar eine neue Form der Erzählstruktur.
In seinem Werk „Leda and the Swan“ (1962) erkennen wir bei genauerer Sichtung drei zentrale Elemente, die uns das Werk näherbringen. Im unteren Teil lässt sich der Titel erkennen; im Zentrum bis hin zum oberen, rechten Bildrand finden wir Herzen und am äußeren, oberen Bildrand befindet sich ein Fenster, welches vollkommen allein dasteht, ohne weitere Bildelemente. Es wirkt plötzlich offensichtlich, dass Twombly sein Werk an die mythologische Erzählung von Leda und dem Schwan anlegt, in der sich Zeus, um Leda verführen zu können, in einen Schwan verwandelt und sie schwängert. Die Herzen geben uns visuelle Hinweise auf diese Erzählung; die wirr und aggressiv wirkenden Striche und Kratzer demonstrieren den Rhythmus und die aufbrausende Dynamik der gleichen. Es wirkt als fänden die Empfindungen des Malers ihren Ausdruck über den Stift auf die Leinwand.
An eben diese tiefe, innere und freie Ausdrucksweise der Empfindungen knüpfen die Werke von Mike MacKeldey an. Auch er hinterlässt in seinen Gemälden Botschaften, die wir uns erschließen müssen. Mal sind es einzelne Worte, die wiederholt in seinen Werken auftauchen; mal sind es ganze Sätze, die wir als ironisch wahrnehmen, jedoch nicht wirklich verstehen. Es sind aneinandergereihte Buchstaben, deren semantische Relation zueinander sich uns nicht erschließt und förmlich der Fantasie des Malers entsprungen zu sein scheinen. Glaubt man ein Wort erkannt zu haben, wie beispielsweise das Wort „Loki“ (Vgl. „Boawrj“, Öl auf Leinwand, 2022), möchten wir es in den für uns bekannten Kontext setzten und verorten es in der nordischen Mythologie, erhalten jedoch nicht wirklich schlüssige Hinweise, die zur authentischen Erfahrung des Gemäldes beitragen. Natürlich nicht – denn besucht man den Künstler in seinem Atelier, läuft einem ein süßer, flauschiger Kater in die Arme, der auf den Namen „Loki“ hört. Ein kleines Wort – bestehend aus 4 Buchstaben – konfrontiert uns mit unserem intellektuellen Anspruch und nimmt uns auf sympathische Art und Weise auf den Arm.
Ebenso amüsant ist die Tatsache, dass das gekritzelte Wort „Laphroaig“ (Vgl. „Laphs Kongi Brause Klause“, Öl auf Leinwand, 2022) nicht gar einer historischen Person zuzuordnen ist – vielmehr ist „Laphroaig“ eine schottische Whiskeysorte. Hat man im Hinterkopf, dass Whiskey das präferierte alkoholische Getränk des Künstlers ist, erscheint die kleine, unauffällige Wort-Zahlen-Kombination „70cle“, die wir im unteren Bildrand finden, vollkommen schlüssig. Neben den Kritzeleien begegnen wir in den aktuellen Gemälden von Mike MacKeldey immer wieder einer Figur, die einem Fantasiewesen gleicht. Mit grünem Gesicht, Kraken ähnlichen Füßen und einer uns zugewandten Arm Pose – die uns an die von Aby Warbung (1866-1929) formulierte Pathosformel erinnert – tritt sie in den Vordergrund der Leinwand. Sie nimmt eine besondere Stellung im Werk ein, da sie sich farblich und stilistisch von dem Portrait abgrenzt und uns mit einer warmherzigen Arm Geste einlädt und willkommen heißt. Den Eindruck, dass diese Figur eine bedeutende Stellung in seinen Bildern einnimmt, verstärkt MacKeldey in dem er sie stets auf einem Podest positioniert. Ein Podest, dass dieses Fantasiewesen gegenüber den anderen Figuren im Bild erhaben wirken lässt, da es stets ein Instrument ist, welches wir nutzen, um Mitteilungen zu verbreiten mit der Intention, möglichst viele Menschen zu erreichen. Dieses bunte Wesen führt uns mit ihrer starken Präsenz durch das Werk des Künstlers und stellt es uns vor.
Die Assoziation der Krake, die bei uns durch die Füße des Wesens hervorgerufen wird, finden wir in abgewandelter Form in anderen Figuren wieder. So scheint es, als würden die kleinen Figuren, die in unmittelbarer Nähe zu dem beschriebenen Fantasiewesen platziert sind, eine Art Kragen tragen. Einen „Kraken Kragen“, den wir so nicht kennen, welcher uns jedoch an einen Thetru Kragen oder Vatermörder erinnert. Krägen, die auf formelle Anlässe verweisen und zeitlich eine Verbindung zu dem im Hintergrund durchscheinenden Portraits herstellen. Betrachten wir die im Jahr 2022 entstandenen Gemälde des Künstlers sehen wir, dass die „Krake“ auf unterschiedlichen Ebenen allgegenwärtig ist. Ein Begriff, ein Motiv, ein Sinnbild, welches wir nicht mit logischen Erzählsträngen antizipieren können. Wir können die Gedanken MacKeldeys nicht im vollen verfolgen und finden uns eines künstlerischen Geistes gegenübergestellt wieder, der uns fasziniert. Beeindruckend hierbei ist, dass er es schafft, uns mit offenen Gedanken und Fragen zurückzulassen ohne dass wir den Anspruch erheben, diese beantwortet zu bekommen. Es scheint gar so, als fände die künstlerische Freiheit, die wir in seinen Werken erfahren, Einklang mit unsere persönlichen Sinneswelt.
Mike MacKeldeys Werke lassen die Grenzen zwischen realer und fiktiver Welt durch die naturalistische Darstellungsweise des Portraits, die abstrakten Fantasiewesen und Chiffren, die an das kollektive Gedächtnis knüpfen, verschwimmen. Sie bedienen sich einer Bildsprache, die so einzigartig ist, dass wir von ihr gefesselt und fasziniert sind. Sie erinnern uns an die Perfektion großer Meister, regen auf eindrucksvolle Weise unsere Fantasie an und hinterlassen ein befreites Gefühl, welches einer kindlichen Leichtigkeit gleicht.

